Erinnerungskultur :
Eine Kita will Anne Frank loswerden

Sandra Kegel
Ein Kommentar von Sandra Kegel
Lesezeit: 2 Min.
Ihr Tagebuch machte Anne Frank weltweit bekannt.
Eine Kita in Sachsen Anhalt will das jüdische Mädchen aus seinem Namen tilgen und dem Vergessen preisgeben. Der Bürgermeister sieht in der Namensänderung einen Schritt zu mehr Offenheit und Vielfältigkeit. Wie geschichtsblind kann man sein?

Soll man Kinder mit Anne Frank und ihrer Geschichte nicht mehr behelligen? Das ist die ungeheuerliche Frage, die dieser Tage allen Ernstes gestellt wird. Anne Frank? Deren Tagebuch millionenfach gelesen wird? Die als Tochter Frankfurter Reformjuden mit ihren Eltern 1934 in die Niederlande fliehen musste, von 1942 an im Amsterdamer Versteck lebte und 1945 mit fünfzehn Jahren in Bergen-Belsen ermordet wurde? Schulen, Bildungsstätten, Straßen und Kitas sind auch deshalb nach ihr benannt, um das Erinnern für kommende Generationen aufrecht zu erhalten.

Eine Kindertagesstätte in Tangerhütte in Sachsen Anhalt will da nicht mehr mitmachen. Das Kuratorium der städtischen Einrichtung hat sich für die Tilgung des Namens ausgesprochen, wie die Lokalpresse berichtet. Künftig will man „Weltentdecker“ heißen. Zu DDR-Zeiten in den Siebzigern nach Anne Frank benannt, möchte die Einrichtung fünfzig Jahre später das Andenken an das jüdische Mädchen durch einen Allerweltsnamen vergessen machen.

Wunsch von Eltern und Erziehern

Laut Stadtverwaltung stammt der Wunsch von Eltern und Kita-Mitarbeitern. Die Kita-Leiterin Linda Schichor bestätigt der „Volksstimme“, dass auch sie einen „kindgerechteren“ Name bevorzuge. Anne Franks Geschichte sei für kleine Kinder kaum fassbar, und bringt, besonders perfide in der jetzigen Situation, da in Nahost Krieg herrscht, auch noch die „Eltern mit Migrationshintergrund“ gegen Anne Frank in Stellung, die mit dem Namen „oft nichts anfangen“ könnten. Sie wolle einen Kita-Namen „ohne politische Hintergründe“, verkennend, dass der Akt der Namenstilgung selbst eminent politisch ist.

Der irregeleiteten Pädagogin springt der parteilose Bürgermeister von Tangerhütte zur Seite, der die Kita heute für „offener als früher“ hält, die „stärker Selbstbestimmtheit und Vielfältigkeit der Kinder“ fördere. Meint Andreas Brohm das ernst? Dass Anne Frank zu gedenken, das Gegenteil von offen und vielfältig ist? „Der Einrichtung ist es wichtig, diese konzeptionelle Veränderung auch nach außen sichtbar zu machen“, sagt der Politiker, für den die Situation in Nahost und deren Auswirkungen hierzulande nichts daran ändere.

Verunsicherte jüdische Gemeinden

Freilich ist Tangerhütte nicht die erste Gemeinde, der die Erinnerung an Anne Frank nicht recht ist. 2021 sah man auch im thüringischen Elxleben angesichts der Namenspatin ihrer Kita das Kindswohl in Gefahr. Dem behüteten Nachwuchs sei nicht zu vermitteln, wer Anne Frank sei und wofür sie stehe, hieß es, weshalb Anne Frank gegen „Elchzwerge“ ausgetauscht werden sollte, in Anlehnung an den örtlichen Faschingsverein. Es wurde nichts daraus. Nicht nur die jüdische Landesgemeinde protestierte, weshalb sich der CDU-Bürgermeister Heiko Koch schließlich zu einer Entschuldigung genötigt sah und alles abblies.

Wie verunsichert jüdische Vertreter hierzulande nur zwei Jahre später sind angesichts des wachsenden Antisemitismus, zeigt die abwägende Haltung, die jetzt der Ansprechpartner für jüdisches Leben in Sachen-Anhalt einnimmt. Er verstehende den „positiv gemeinten Impuls“, bedaure aber, „dass dadurch ein Ort wegfällt, der an Anne Frank erinnert“, sagte Wolfgang Schneiß über den Plan von Tangerhütte. Die schmerzliche Vorsicht, die diesen Worten zugrunde liegt, sollte uns alarmieren.