Nach Einschätzung von Amnesty International sind im vergangenen Jahr rund 57 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht gewesen. Das sind sechs Millionen mehr als noch vor zwei Jahren. Die eskalierenden Konflikte mit Terrormilizen wie dem "Islamischen Staat" oder Boko Haram haben zur größten Flüchtlingskatastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg geführt, heißt es in dem aktuellen Amnesty-Bericht zur Lage der Menschenrechte. Der Terror in Syrien und im Irak sei derzeit eine der größten Bedrohungen für die Menschenrechte überhaupt, mit weltweiten Auswirkungen.

2014 sei ein katastrophales Jahr für alle Menschen gewesen, die unter Folter, sexualisierter Gewalt oder Anschlägen zu leiden hätten, sagte die deutsche Amnesty-Generalsekretärin Selmin Caliskan. "Wir beobachten einen erschreckenden Trend: Nicht staatliche bewaffnete Gruppen gehen zunehmend brutal gegen die Zivilbevölkerung vor", sagte sie. 

Die Reaktion der internationalen Staatengemeinschaft auf die Flüchtlingsproblematik sei beschämend. "Wir brauchen deutlich mehr Unterstützung für die Nachbarstaaten und deutlich mehr Aufnahmeplätze in der EU", so Caliskan. Der Weltsicherheitsrat habe als Instrument versagt, die EU stecke ihren Kopf in den Sand, etwa beim Umgang mit der Flüchtlingssituation im Mittelmeer. 

Amnesty-Generalsekretär Salil Shetty forderte die fünf ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrates – USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien – dazu auf, in Fällen von Völkermord und ähnlichen schweren Verbrechen ihr Vetorecht aufzugeben. "Der Weltsicherheitsrat hat in Syrien, im Irak, in Gaza, Israel und der Ukraine versagt", heißt es im Amnesty-Jahresbericht, der die Menschenrechtssituation in 160 Ländern der Welt untersucht hat. Durch eine Aufgabe des Vetorechtes erhielte der Weltsicherheitsrat größeren Spielraum, Zivilisten in bewaffneten Konflikten zu schützen. Auch müssten Waffenlieferungen an Staaten und Gruppen, die Menschenrechtsverletzungen begehen, gestoppt werden. Der 2014 in Kraft getretene internationale Waffenhandelsvertrag sei ein erster Schritt.

Krisenregionen jenseits der großen Schlagzeilen

Doch nicht nur Terroristen quälten die Bevölkerung mit Anschlägen, Morden und Folter. Praktisch im selben Atemzug nennen die Menschenrechtler die Reaktionen von Regierungen. Diese versuchten, Menschenrechtsverletzungen mit der Ausrede zu rechtfertigen, für Sicherheit sorgen zu müssen. So haben die Taten des IS für eine Weile von der Gewalt der Regierungskräfte in Syrien abgelenkt, heißt es. Diese setzten Fassbomben ein, griffen Krankenhäuser an und blockierten die Versorgung Unbeteiligter mit Nahrung, Wasser und Medikamenten. Im Irak habe die Regierung angesichts des Terrors schiitische Milizen auf sunnitische Gemeinden "losgelassen", die angeblich mit dem IS sympathisierten. Alleine von Januar bis Oktober seien im Irak 10.000 Zivilisten getötet worden. Auch unter der neuen Regierung kämen bei Luftangriffen auf IS-Gebiete Zivilisten um.  

Ein weiterer Aspekt des Berichts ist die Lage in der Ostukraine. Laut der Menschenrechtsorganisation kamen bei dem Konflikt international geächtete Streubomben zum Einsatz. Die Waffen seien offenbar von beiden Seiten genutzt worden, heißt es in dem Papier – also von den prorussischen Separatisten ebenso wie vom ukrainischen Militär. Beide Seiten hätten darin versagt, vernünftige Vorkehrungen zum Schutz von Zivilisten zu treffen und dabei das Kriegsrecht verletzt.

Amnesty International erinnert in ihrem Jahresbericht auch an Krisenregionen jenseits der großen Schlagzeilen. So bekämpften sich etwa in Somalia weiterhin die gefürchtete Al-Shabaab-Miliz und das Militär. 100.000 Zivilisten seien in dem Konflikt getötet worden, sexuelle Gewalt sei weit verbreitet. In Vietnam gehörten die Einschränkung der Rede- und Versammlungsfreiheit zum Alltag. Blogger und Politaktivisten müssten unfaire Prozesse und Haftstrafen fürchten. Und auf den Malediven würden wieder Todesurteile vollstreckt – nach mehr als 60 Jahren. Zum Strafenkatalog in dem beliebten Urlaubsland gehörten auch Auspeitschungen, die vor allem Frauen träfen.

Menschenrechtsverletzungen in Deutschland

Der Ausblick auf das laufende Jahr sei "trostlos". Mehr Zivilisten, die unter der quasi-staatlichen Herrschaft brutaler Terrorgruppen leben müssen, mehr Flüchtlinge. Aber auch mehr Überwachung im Westen, wo Regierungen und Geheimdienste den "Krieg gegen den Terror" als Vorwand nutzten, um die eigene Bevölkerung zu bespitzeln.

In ihrem Bericht kritisiert Amnesty auch Menschenrechtsverletzungen in Deutschland. So verstoße etwa das Asylbewerberleistungsgesetz gegen die Verfassung, da Betroffene hiernach keine medizinische Vorsorge in Anspruch nehmen dürften.