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Flüchtlingskrise Außenamt startet Kampagne gegen Desinformation

Deutsche Pässe für alle Syrer, Charterflüge Richtung Berlin: Im Internet kursieren Gerüchte, die immer mehr Flüchtlinge nach Deutschland locken. Das Außenamt antwortet mit einer Kampagne zur Aufklärung.
Flüchtlinge (an der österreichisch-ungarischen Grenze): "Goldene Möglichkeit"

Flüchtlinge (an der österreichisch-ungarischen Grenze): "Goldene Möglichkeit"

Foto: Helmut Fohringer/ dpa

Im Internet liest sich die gefährliche Flucht vom Bürgerkriegsland Syrien nach Deutschland manchmal wie eine Reise ins Paradies. In einer Facebook-Gruppe, die fast ausschließlich von Syrern besucht wird, schwärmt ein junger Mann, Deutschland sei "das Land der Möglichkeiten". In seinem mit Bildern von Vorstadtgassen und satt-grünen Wäldern verzierten Posting rät er Landsleuten, sich zu beeilen. "Deutschland wird dieses Jahr eine Million Flüchtlinge aufnehmen. Das ist eine goldene Möglichkeit für uns!"

Noch einfacher erscheint das Entkommen aus Syrien auf der Webseite der libanesischen Tageszeitung "Al-Diyar", die dem Regime von Baschar al-Assad nahe steht. Unter der Überschrift "Ein Aufruf Schwedens und Norwegens an die Flüchtlinge" behauptet das Blatt bis heute im kühlen Ton einer Nachricht, beide Länder würden bald syrische Flüchtlinge mit dem Schiff aus dem Libanon, der Türkei und Jordanien holen. Illustriert ist der Text ausgerechnet mit einem Foto des Luxus-Kreuzfahrtschiffs "Queen Victoria".

Es sind Gerüchte wie diese, die in mehreren deutschen Botschaften und im Auswärtigen Amt (AA) derzeit für Unruhe sorgen. Im AA ist von einer "gefährlichen Gerüchteküche" die Rede, die immer mehr Syrer, aber auch Menschen aus anderen Krisenländern zur Ausreise verleiten könnte. Teilweise würde von Schleppern "gezielt Desinformation" verbreitet. Damit wolle man Syrer für viel Geld in die Türkei oder andere Nachbarländer Syriens schleusen. Von dort, so die Versprechungen, sei der Weg nach Deutschland nur noch ein Kinderspiel.

Die Liste von Gerüchten im Web ist lang. Mal, so eine Aufstellung des AA, wird suggeriert, Deutschland wolle dieses Jahr fast eine Million Menschen dauerhaft aufnehmen. In anderen Foren heißt es, jedes Familienmitglied eines bereits anerkannten Asylbewerbers könne problemlos einreisen und bleiben. Ebenso beliebt ist die Behauptung, ähnlich wie in den Sechzigerjahren brauche Deutschland Hunderttausende Arbeitskräfte und suche deswegen wie verzweifelt nach Zuwanderern. Jeder könne in der Bundesrepublik problemlos Arbeit finden und guten Lohn erhalten.

Menschenschlangen in Beirut

In manchen Botschaften führen die Behauptungen im Netz schon zu chaotischen Zuständen. Im Libanon verbreitete sich in den vergangenen Tagen blitzschnell das Gerücht, man könne dort im Eilverfahren deutsches Asyl beantragen. Schon Stunden später drängten sich die Menschen vor der Vertretung. Und es sind nicht nur Syrer, die aufmerksam das Netz beobachten. Auch in Kabul geistert das Gerücht herum, alle Afghanen würden problemlos in Deutschland Asyl bekommen, wenn sie es erst einmal bis dorthin schafften.

Zur Attraktivität Deutschlands als Zielland dürfte neben den Gerüchten allerdings auch die aktuelle Flüchtlingspolitik beigetragen haben: Die Entscheidung von Angela Merkel, Tausende Flüchtlinge aus Ungarn einreisen zu lassen, die Tatsache, dass Syrer nicht ins Bürgerkriegsland zurückgeschickt werden und die klare Ablehnung der Kanzlerin einer Obergrenze für die Zahl von Bürgerkriegsflüchtlingen in Deutschland.

Für das Auswärtige Amt ist die Lage nicht einfach. Mehrere Botschaften haben in sozialen Medien eine Art Aufklärungskampagne gestartet. Im Amt spricht man von "einer Informationsoffensive in den wichtigsten Herkunfts- und Transitländern". Damit solle verhindert werden, "dass sich Flüchtlinge in ihrer ohnehin schwierigen Lage auch noch mit falschen Vorstellungen und irreführenden Erwartungen auf den Weg nach Deutschland machen" und letztlich enttäuscht würden.

Bei der Kampagne setzen die Botschaften meist auf Fakten, manches liest sich wie Abschreckung. Die Vertretung in Kairo zum Beispiel veröffentlichte ein Dossier über die Chancen, in Deutschland Asyl zu bekommen. Demnach sei die Zahl von 800.000 Flüchtlingen, die Deutschland angeblich 2015 aufnehmen wolle, nur "eine statistische Schätzung" der Hilfesuchenden. "Ein erheblicher Teil von ihnen", so die klare Aussage, "wird voraussichtlich nicht anerkannt und wird Deutschland wieder verlassen müssen".

Auch in Afghanistan setzt die Botschaft auf nüchterne Statistiken und twitterte am Mittwoch, nur ein Drittel aller Asylbewerber würde in Deutschland anerkannt. Zudem würden Flüchtlinge in Europa verteilt und hätten keinen Einfluss darauf, in welchem Land sie letztlich landen würden. Ähnliche Zahlen nannte Deutschlands Botschafter in Kabul, Markus Potzel, in den vergangenen Tagen in mehreren TV-Interviews, um Afghanen von der lebensgefährlichen Flucht über Iran, die Türkei und den Balkan abzuhalten.

Im AA ist man sich des schwierigen Spagats bewusst. Auf der einen Seite zeigt Deutschland derzeit eine überwältigende Hilfsbereitschaft für die ankommenden Flüchtlinge. Auf der anderen Seite fürchtet das Außenamt, dass die Bilder auch Tausende Menschen im Nahen und Mittleren Osten zur Flucht animieren könnten, die in Deutschland kein Asyl erhalten werden. Etwas bürokratisch heißt es dazu, man wolle vor allem "Enttäuschungen und auch Spannungen, sei es an EU-Grenzübergängen oder vor den Botschaften im Ausland" vorbeugen.