Dana Abu Lail erinnert sich noch genau an den Abend, der ihr Leben verändern würde. Sie ist allein unterwegs auf der Straße in Ramallah, etwa gegen zehn, als ein Jugendlicher auf sie zurennt und ihr an den Po greift. "Es war so schlimm. Und es war so überraschend, ich sah es nicht kommen", sagt Dana. Anfangs traut sie sich gar nicht mehr ohne Begleitung nach draußen, der Übergriff hat sie unsicher gemacht. Es braucht eine Weile, Dana lernt in dieser Zeit, offen mit sexueller Belästigung umzugehen. Auch weil sie ihre Erfahrungen und Beobachtungen aufschreibt und mit anderen teilt – wie viele andere, die sich an der palästinensischen Initiative Mappingher beteiligen.

Experten schätzen, dass rund jede zehnte Frau in Palästina sexuelle Übergriffe auf der Straße erlebt hat. Mit Blick auf andere arabische Länder ist das sogar sehr wenig. Doch 37 Prozent sind zu Hause mit Gewalt konfrontiert, hat die palästinensische Statistikbehörde ermittelt. Zum Vergleich: In Deutschland sind es laut einer Studie des Familienministeriums rund 25 Prozent. Vor allem aber ist die Zahl der Ehrenmorde in Palästina in den vergangenen Jahren stetig gestiegen, die Organisation Women's Center for Legal Aid hat im vergangenen Jahr 27 Fälle erfasst.

Gewalt gegen Frauen, dagegen setzt die Initiative Mappingher das geschriebene Wort. Wie Dana bloggen dort rund 200 Palästinenserinnen und Palästinenser. Sie teilen ihre Geschichten vor allem über die Facebook-Seite, aber auch auf Twitter und mappingher.ps. Viele der Posts sind mit Infografiken oder Karten versehen – so kam auch der Name zustande. 

"Wir müssen die Wahrheit zu den Menschen bringen"

Die meisten Palästinenser denken, die Situation der Frauen sei in Ordnung wie sie ist, beklagt sich der Initiator Saed Karzoun. Weil die Medien es so transportierten. "Wir müssen die Wahrheit zu den Menschen bringen", sagt er, auch die Entscheidungsträger Palästinas will er mit der Realität konfrontieren. Die deutsche Heinrich-Böll-Stiftung hat Karzoun damit überzeugt, sie finanziert das Projekt. Doch die Öffentlichkeit reagiert bisweilen ablehnend. Wie im Fall eines Mädchens, das von seiner Familie getötet wurde, weil es mit dem Onkel geschlafen hatte. Mappingher berichtete darüber und handelte sich Unmengen entrüsteter Onlinekommentare ein. "Die Leute waren richtig böse mit uns", sagt Karzoun. "Wie könnt ihr so etwas schreiben, ihr Lügner?", hätten sie gefragt.

Ehrenmorde – kein anderes Thema ruft bei Mappingher so viele Reaktionen hervor. Dana Abu Lail ist eine der ersten, die darüber berichtet. In den Fällen, die sie schildert, versucht sie vor allem herauszubekommen, was mit den Tätern passiert. Eine schwierige Aufgabe, denn die Informationen seien nicht öffentlich, und niemand wolle darüber sprechen. Karzoun nennt den Grund: "Die Leute haben Angst, gesellschaftlich geächtet zu werden."

Dana Abu Lail hat keine Angst, darüber zu schreiben. Auch weil sie und die anderen ein großes Ziel haben: Sie wollen das Gesetz verändern, dafür sorgen, dass Ehrenmörder für ihre Taten bestraft werden – Mappingher hat dafür eine Online-Petition gestartet. "Momentan kann ein Vater beispielsweise mit seiner Tochter schlafen, und das Gesetz schützt sie nicht", sagt Abu Lail. Bislang komme ein Ehrenmörder – je nach Richter – meistens frei oder müsse nur wenige Monate hinter Gitter.

"Es könnte deine Schwester sein"

Lama Hourani ist eine der älteren Unterstützerinnen von Mappingher. Seit zwei Jahrzehnten ist sie in der palästinensischen Frauenbewegung aktiv und kämpft schon lange für mehr Konsequenzen beim Ehrenmord. Es sei der palästinensische Präsident Mahmud Abbas selbst, der sich querstelle, wenn auch nicht öffentlich. "Er ist sehr traditionell, er glaubt, dass es richtig ist, die Ehre der Familie zu beschützen", sagt Hourani. "Wir haben so sehr versucht, das zu ändern und manche Artikel abzuschaffen – er hat das abgelehnt."

Doch Saed Karzoun ist überzeugt davon, dass sie es irgendwann schaffen. Es brauche nur Zeit – viel Zeit. Mit Mappingher können er und die anderen immerhin Aufmerksamkeit auf das Thema lenken. Im Vergleich zu anderen arabischen Staaten ist Palästina ohnehin schon recht weit, wenn es um die Stellung von Frauen in der Gesellschaft geht: Das Land hat die höchste Quote an studierten Frauen und solchen, die an politischer Mitbestimmung beteiligt sind.

Damit dazu die Zahl der Frauen, die mit Gewalt oder sexuellen Übergriffen konfrontiert sind, noch kleiner wird, versucht Dana, in ihren Beiträgen immer auch ganz praktische Lösungen aufzuzeigen: "Du kannst dich als Frau auch schützen. Du kannst etwas erwidern oder dich selbst verteidigen – einfache Techniken." Wenn sie etwa sieht, dass eine Frau belästigt wird, schreitet Dana ein, meistens mit einem einfachen Satz: "Es könnte deine Schwester und es könnte deine Mutter sein." In einer Gesellschaft wie Palästina, so hofft sie, können diese Worte Wirkung zeigen.