In der vergangenen Woche, zu Gast bei der CSU in Bayern, erklärte
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán seine Haltung zum Flüchtlingsproblem so:
"Wir sind Ungarn. Ungarn möchte keine Änderung aufgrund massenhafter
Einwanderung. Wir wollen uns nicht ändern!"
Wie der Premier denkt auch die Mehrheit seines Volkes. Und
wie die Ungarn denken viele Osteuropäer. Die Polen, die demnächst wählen,
wünschen sich laut Umfragen mehrheitlich einen Premier wie Viktor Orbán, der
Zäune zieht und Fremde, vor allem außereuropäische, muslimische Fremde draußen
hält.
"Wir wollen uns nicht ändern!" Dieser Satz spricht Bände, demonstriert
er doch ein völlig falsches Verständnis davon, was das Wesen der Europäischen
Union ausmacht. Diesem Club anzugehören, bedeutet nämlich nicht nur, Segnungen aus
Brüssel zu empfangen und so weit wie möglich den eigenen Wohlstand zu mehren, ansonsten aber Anforderungen
abzuwehren. Teil dieser Gemeinschaft zu sein, heißt auch, sich ständig verändern
zu müssen und sich nicht einigeln zu können.
Eine Kernaufgabe der EU liegt doch gerade darin, die Folgen und
die Zumutungen des rasanten Wandels innerhalb Europas und in der globalen Welt
aufzufangen, zu moderieren und durch eine gerechte Verteilung der Lasten für
alle möglichst verträglich zu machen.
Natürlich sind viele Ungarn von der EU enttäuscht. Mit dem
Geld aus Brüssel wurden zwar Straßen gebaut und die Infrastruktur aufgepeppt,
ausländische Firmen haben sich niedergelassen. Aber das Durchschnittsgehalt eines
Ungarn liegt immer noch bei ziemlich kläglichen 800 Euro im Monat. Überdies fällt
die Einsicht, Lasten zu teilen, den Mittel- und Osteuropäern gerade in der
Flüchtlingsfrage besonders schwer. Schließlich haben die Staaten östlich der
Elbe in den letzten 70 Jahren vor allem Auswanderung und kaum Einwanderung erlebt.
Der Budapester Soziologe Kristóf Szombati beschreibt die
Psyche seiner Magyaren so: Ende des 9. Jahrhunderts ins Karpatenbecken
eingewandert, hätten sie sich von Anfang an in Abwehrkämpfe gegen
Slawen, gegen Türken und andere verstrickt. "Angst, die Furcht vor Überfremdung und vor
Fremdherrschaft", so Szombati, "waren unser ständiger Wegbegleiter." Bis heute
seien die Ungarn besonders stolz auf ihre Homogenität und zählten Minderheiten wie
die Roma, die schon seit Hunderten von Jahren im Land lebten, nicht wirklich zu
ihrem Volk.
Gleichwohl: Im Jugoslawienkrieg nahmen Ungarn mit offenen
Armen Flüchtlinge aus Bosnien und Serbien auf. Ostdeutschen Flüchtlingen wurde
1989 zu Tausenden Schutz geboten. Auch etliche ägyptische Kopten fanden als
Christen in den vergangenen Jahren in Ungarn eine neue Heimat. Und angeblich
gibt es sogar Pläne, wo und wie man im
Notfall rund 100.000 Ukrainern ungarischer Abstammung Zuflucht gewähren könnte.
Und dennoch: "Wir wollen uns nicht ändern!" Wer die
quirlige, weltoffene Metropole Budapest verlässt und aufs Land, etwa in das kleine Städtchen Mórahalom an der
Grenze zu Serbien fährt, bekommt diesen Satz immer wieder zu hören. Fremden
begegnet man dort allenfalls als zahlenden Touristen, die sich in den
Thermalquellen erholen oder sich in einer Zahnklinik billig ihr Gebiss
sanieren lassen. Das hat sich geändert.
Plötzlich ziehen Zehntausende Menschen mit fremdem Aussehen,
fremder Sprache, fremder Kultur und vor allem fremder Religion durchs Land. Diese
Flüchtlinge aus Asien und Afrika sieht man mit anderen Augen, begegnet ihnen
skeptisch und abwehrend. Und plötzlich verlangt die EU, diese Fremden nicht nur
zu registrieren, sondern einen Teil von ihnen aufzunehmen. Für viele Ungarn ist
das eine Zumutung, der sie sich nicht beugen wollen.
Verdrängt wird dabei allerdings: Eine halbe Million Ungarn hat das Land den Demografen zufolge in den vergangenen Jahren verlassen – darunter besonders viele junge und gut ausgebildete Menschen. Sie sind in der
Mehrzahl aus wirtschaftlichen Gründen ausgewandert, aber nicht nur. Bei einem
Volk, das nur knapp zehn Millionen Einwohner zählt und rapide altert, ist das
eine gefährlich hohe Zahl. Nach Budapest ist inzwischen London die zweite
Hauptstadt der Ungarn, fast 300.000 sollen dort leben.
Die Regierung Orbán hält das für eine vorübergehende
Erscheinung und für völlig normal in einer globalisierten Welt. So wäre es
auch, würde Ungarn im Gegenzug ebenso viele kreative, junge,
unternehmungslustige Leute anziehen. Doch Soziologen wie Demografen warnen, der
Zug bewege sich nur in eine Richtung – gen Westen.
"Wir wollen uns nicht ändern!" So wenig selbstkritisch, so absolut und apodiktisch könnte dieser Glaubenssatz Viktor Orbán und allen anderen, die so denken, noch zum Verhängnis werden.
In der vergangenen Woche, zu Gast bei der CSU in Bayern, erklärte
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán seine Haltung zum Flüchtlingsproblem so:
"Wir sind Ungarn. Ungarn möchte keine Änderung aufgrund massenhafter
Einwanderung. Wir wollen uns nicht ändern!"
Wie der Premier denkt auch die Mehrheit seines Volkes. Und
wie die Ungarn denken viele Osteuropäer. Die Polen, die demnächst wählen,
wünschen sich laut Umfragen mehrheitlich einen Premier wie Viktor Orbán, der
Zäune zieht und Fremde, vor allem außereuropäische, muslimische Fremde draußen
hält.