Wen das Ausland wählen würde

Briten hoffen auf FDP, Macron will Merkel – und Putin?

Veröffentlicht am 24.09.2017Lesedauer: 9 Minuten

Nach Monaten des Wahlkampfes ist heute der entscheidende Tag gekommen. Dass die AfD in den Bundestag einziehen wird, gilt den Umfragen nach als sicher. Die Frage ist, mit welchem Anteil.

Die Deutschen gehen zur Wahl und die Welt schaut zu. Doch wie würde das Ausland entscheiden, wenn es dürfte? Die WELT-Korrespondenten haben nachgefragt – und berichten zum Teil Erstaunliches. Ein Überblick.

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Großbritannien

Theresa May
Theresa MayQuelle: REUTERS

Könnten die Briten bei der Bundestagswahl mitmachen, wäre ein Wahlsieg von Angela Merkel alles andere als sicher. Zwar beneidet man im Brexit-Königreich die Deutschen um die politische und wirtschaftliche Stabilität. Merkels Flüchtlings- und Griechenlandpolitik aber beurteilen viele sehr kritisch. Obendrein sind in Sachen Brexit-Deal die Befürchtungen groß, dass „Queen Europe“ im Ernstfall deutsche Wirtschaftsinteressen über die europäische Einheit stellen würde.

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Weshalb in Großbritannien nicht wenige darauf hoffen, dass es die FDP in die nächste deutsche Koalition schafft. Die Liberalen sind im Königreich als Verfechter von Wettbewerb und Freihandel bekannt, ganz nach angelsächsischem Geschmack. Tatsächlich haben FDPler gefordert, den britischen EU-Ausstieg pragmatisch anzugehen. Dass die deutschen Liberalen genauso für mehr EU-Integration werben, übersieht Großbritannien gern. Stefanie Bolzen

Frankreich

Emmanuel Macron
Emmanuel MacronQuelle: AP

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Emmanuel Macron rechnet nicht nur fest mit Angela Merkel, er will sie auch wirklich. Das Verhältnis der beiden ist exzellent. Die Kanzlerin hat es gerade selbst so genannt. Vor wenigen Wochen hätte man vielleicht noch gesagt: Macron will Merkel, aber ohne Wolfgang Schäuble. Inzwischen stimmt nicht mal mehr das. Macrons Vorschläge, ein Budget und ein Parlament für die Euro-Zone zu schaffen, gelten selbst im Kabinett des deutschen Finanzministers nicht mehr als undenkbar. Schäuble hat sich bewegt. Aus dem französischen Finanzministerium hört man, dass regelmäßig Arbeitsgruppen beider Ministerien tagen, um das Projekt voranzubringen.

Das bestätigt den Verdacht, den Christian Lindner in der WELT AM SONNTAG geäußert hat – dass Merkel und Macron in Sachen Euro-Zone schon Absprachen getroffen haben. Dazu hat der FDP-Chef klargemacht: mit ihm nicht. Die französische Presse mag Lindner schon als „deutschen Macron“ gefeiert haben, in Wahrheit ist er Macrons Albtraum. So hat jedenfalls „Le Monde“ einen Artikel überschrieben, in dem von einem ominösen Besucher im Élysée berichtet wird, der folgenden Satz aus dem Munde Macrons kolportiert haben soll: „Wenn sich Merkel mit den Liberalen verbündet, ist das mein Ende.“ Martina Meister

Türkei

Recep Tayyip Erdogan
Recep Tayyip ErdoganQuelle: ZGB

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat Deutschlands Türken aufgerufen, keine „antitürkischen“ Parteien zu wählen. Das sind aus türkischer Regierungssicht: alle. Traditionell wählen Deutschtürken vor allem SPD und Grüne, obwohl diese Parteien nichts gemein haben mit der Weltsicht vieler türkischer Wähler. Traditionelle Familie, Gott und Vaterland (die Türkei) werden im Parteiprogramm der Grünen nicht gerade großgeschrieben. Aber die doppelte Staatsbürgerschaft und Wahlrecht für Ausländer. Da Rot und Grün neuerdings die Türkei – genauer gesagt Erdogan – vehement attackieren, verlieren sie unter Deutschtürken an Beliebtheit.

Aber es gibt keine Alternative für türkische Wähler. Noch mehr türkischstämmige Wähler als sonst dürften sich der Stimme enthalten. Es gibt seit 2016 auch eine kleine Türkenpartei, die ADD. Sie wirbt mit Erdogans Konterfei. Kann sein, dass er diese Partei stärken wollte mit seinem Aufruf – sie tritt aber vorerst nur in Nordrhein-Westfalen an. Ob Deutschtürken mit einer eigenen Partei zum Machtfaktor werden, wird sich frühestens 2021 abzeichnen. Boris Kálnoky

USA

Donald Trump
Donald TrumpQuelle: AP

„Wenn Amerikaner auf die deutsche Wahl schauen, dann ist es unmöglich sich vorzustellen, dass irgendjemand anders als Merkel Europas mächtigste Wirtschaftsnation führen könnte“, meint Karen Donfried vom German Marshall Fund. Weshalb sich auch in den USA der Eindruck verfestigt, der deutsche Wahlkampf sei irgendwie langweilig, weil die Siegerin schon festzustehen scheint. Das wird in der außenpolitischen Gemeinde beider Parteien mit gewisser Erleichterung beobachtet. Schließlich gilt Merkel als wichtiger Stabilitätsfaktor in unruhigen Zeiten.

Allein die Bannon- und Breitbart-Fraktion der Trumpisten macht aus ihrer Sympathie für die Einwanderungsgegner der AfD keinen Hehl und behauptet, Merkels Flüchtlingspolitik stürze das Land ins Unglück. Nach der Wahl von Donald Trump hofften außenpolitische Beobachter, Merkels Deutschland könne angesichts der isolationistischen Neigungen des neuen Präsidenten in eine Führungsrolle im Westen hineinwachsen. Doch diese Hoffnung hat der Wahlkampf nicht eingelöst. Clemens Wergin

Russland

Wladimir Putin
Wladimir PutinQuelle: REUTERS

Für Wladimir Putin ist die Bundestagswahl eine Enttäuschung. Sein eigentlicher Wunschkandidat Gerhard Schröder (SPD) tritt nicht an. Dessen Partei würde der Kreml-Chef vermutlich dennoch wählen: Sigmar Gabriels Ostpolitik-Rhetorik schmeichelt den russischen Eliten. Schließlich ist man in Moskau davon überzeugt, ein Land mit der Wirtschaftsleistung Italiens könne sich weltpolitisch mit der UdSSR messen. Die Linke Sahra Wagenknecht und AfD-Mann Alexander Gauland vertreten zwar russlandfreundlichere Positionen, sind dafür außenpolitisch unerfahren und schwer einzuschätzen.

Angela Merkel (CDU) steht für die Sanktionen gegen Russland, und der Name Christian Lindner (FDP) bereitet in Moskau selbst Deutschland-Experten Schwierigkeiten: Ein N, gefolgt von einem D, gefolgt von noch einem N, das geht Russen nicht so leicht von der Zunge. Kein Wunder, dass man über den FDP-Chef bislang wenig spricht. Die Grünen, schärfste Russlandkritiker unter den deutschen Parteien, kommen nun überhaupt nicht infrage. Kurzum: Putin würde sich für die vertraute SPD-Option entscheiden. Pavel Lokshin

Italien

Paolo Gentiloni
Paolo GentiloniQuelle: Getty Images/Getty Images Europe

Wie aufmerksam die Italiener die Bundestagswahl verfolgen, zeigt eine Meldung, die am 1. September durch sämtliche Medien des Landes ging. Unter dem Titel „Martin Schulz widerfährt sexistischer Patzer“ wurde der SPD-Kanzlerkandidat zitiert: „Schöne Journalistinnen motivieren mich.“ Dass Schulz in Wahrheit nur von „netten“ Journalistinnen gesprochen hat, ist da zweitrangig. Viele Italiener waren spontan enttäuscht. Denn Schulz ist beliebt, seit Ex-Premier Silvio Berlusconi ihn in einer Plenarsitzung des EU-Parlaments 2003 als Kapo beschimpfte.

Trotz des Sexismus-Vorwurfs gilt Schulz in Italien als der bessere Deutsche, als Gegenmodell zu Merkels harter Euro-Politik, der den Südeuropäern mehr haushaltspolitische Flexibilität erlauben würde und Länder wie Italien in Europa trotz ihrer angeschlagenen Finanzen auf gleicher Augenhöhe behandelt. Einer, der sich für die Unterstützung von Italien in der Flüchtlingskrise einsetzt hat. Constanze Reuscher

Polen

Beata Szydlo
Beata SzydloQuelle: dpa

Als die deutsch-polnischen Beziehungen noch ziemlich unproblematisch waren und in Warschau noch Angela Merkels guter Freund Donald Tusk regierte, also bis zum Warschauer Regierungswechsel 2015, gehörte die Kanzlerin nach Umfragen zu den beliebtesten ausländischen Politikern in Polen. Die Deutschen als Nation verzeichnen auch heute noch mehr Sympathie- als Antipathiepunkte, liegen aber im Mittelfeld der Beliebtheitsskala der Völker.

Merkels ruhiger Stil kommt bei vielen Polen, vor allem bei den liberal Gesonnenen, gut an. Auch ihre klare Haltung gegenüber Putin wird gewürdigt. Die Aussagen der regierenden nationalkonservativen PiS über Merkel sind dagegen widersprüchlich: „Frau Merkel ist absolut die Nummer eins in der EU, und das ist keine gesunde Situation“, sagte Parteichef Jaroslaw Kaczyński in diesem Jahr. Zugleich erklärte Kaczyński, dass Merkel „für uns das Beste wäre“. Martin Schulz habe eine „Neigung zu Russland“ und sei mit „antipolnischen“ Tönen zum Justizstreit aufgefallen. Gerhard Gnauck

Ungarn

Viktor Orbán
Viktor OrbánQuelle: AFP/Getty Images

Zwei Drittel der ungarischen Wähler stimmen entweder für die nationalkonservative Regierungspartei Fidesz oder die nicht weniger rechte, einst sogar extrem rechte Jobbik-Partei. Nation, Familie, starker Staat, das ist ihre Weltsicht. Im deutschen Parteienspektrum entspricht am ehesten die AfD dieser Mentalität. Auch in der ungarischen Regierung würde man sich freuen, wenn die AfD stark abschneidet. Die Partei sieht in Premier Viktor Orbán ein Vorbild.

Wie aber würde Orbán selbst wählen? Wenn seine Entscheidung bekannt wäre, müsste es wohl die CDU sein. Er hat öffentlich gesagt, dass er für Angela Merkels Wahlsieg bete – weil Martin Schulz mit seinem ewigen Eindreschen auf Ungarns Politik noch schlimmer wäre. Insgeheim aber muss auch Orbán denken: Je stärker die AfD, desto besser für uns. In Budapest hofft mancher, eine starke AfD könne einen Wertewandel in Deutschland einleiten, hin zu mehr Nationalismus und mehr Kritik gegenüber der EU. Boris Kálnoky

Israel

Benjamin Netanjahu
Benjamin NetanjahuQuelle: REUTERS

In Israel würde Angela Merkel Wahlen wohl noch deutlicher gewinnen als in Deutschland. Trotz seiner Bekenntnisse zu Israel ist Martin Schulz nach einer umstrittenen Ansprache vor der Knesset vielen suspekt. Ein Eklat beim letzten Staatsbesuch des Bundesaußenministers Sigmar Gabriel beraubte die SPD weiterer Sympathien. Merkel gilt indes als verlässliche Freundin. In Erhebungen der Konrad Adenauer Stiftung wird sie von rund 70 Prozent der Israelis hoch geschätzt – mehr als andere ausländische Staatschefs.

In linken Oppositionsparteien erringt sie gar Zustimmungsraten von 94 Prozent. Selbst unter Anhängern nationalistischer Parteien bilden Merkel-Befürworter eine klare Mehrheit von mehr als 60 Prozent. Merkels Flüchtlingspolitik hat indes viele hier besorgt. Sie fürchten, mehr Muslime könnten Deutschland dazu bewegen, sich vom Judenstaat abzuwenden. Die Zahl der Merkel-Kritiker stieg infolge der Flüchtlingskrise von 11 auf 19 Prozent. Gil Yaron

Fidschi

Frank Bainimarama
Frank BainimaramaQuelle: AFP/Getty Images

Noch auf den entlegensten Inseln von Fidschi wird die Bevölkerung angehalten, doch bitte keinen Müll zu verbrennen. Das trage zum Klimawandel bei. Und der ist eine Überlebensfrage für den Staat im Südpazifik. Der Meeresspiegel steigt wegen der globalen Erwärmung, ganze Landstriche werden zerstört durch immer heftigere Stürme. „Wir kämpfen um unser Überleben“, sagte kürzlich erst Fidschis Premier Frank Bainimarama, der Gastgeber der diesjährigen Klimakonferenz. „Wir müssen die anderen Nationen auf unseren Kampf aufmerksam machen.“ Und keine Partei in Deutschland wäre dafür empfänglicher als die Grünen, die sich nicht nur in puncto Verbrennungsmotoren besonders konsequent für eine nachhaltige Klimapolitik einsetzen. Die Stimmen der Fidschianer hätten die Grünen bei der Bundestagswahl darum wohl sicher. Auch wenn Vorschläge wie Veggie Days und Tempo-30-Zonen nicht unbedingt zur Kultur der Inseln passen. Mareike Kürschner

Griechenland

Alexis Tsipras
Alexis TsiprasQuelle: dpa

Was griechische Wähler wollen, ist über die Jahre klar genug geworden: Einkommen auf deutschem Niveau, Streichung der Staatsschulden, Beamtenstellen für alle, frühe Renten und möglichst keine schmerzhaften Wirtschaftsreformen. Feindbilder sind das (deutsche) Großkapital, die Banken, die Politiker. Am ehesten passt das zur deutschen Linken. Ihr würden die Griechen vermutlich mehrheitlich ihre Stimme geben, wenn sie in Deutschland mitwählen könnten. Schließlich gehört die Linke zur selben Parteienfamilie, wie Syriza, die Partei, die in Griechenland die relative Mehrheit hat und die Regierung stellt. Noch jedenfalls. Denn mit der blockierten Wirtschaft und der grassierenden Korruption sind viele Griechen unzufrieden. Syrizas Stern sinkt rapide, Konservative und Sozialdemokraten legen zu. Vielleicht entwickeln die Griechen doch noch Appetit auf GroKo. Boris Kálnoky

China

Xi Jinping
Xi JinpingQuelle: Getty Images

Für Chinas Bürger steht Angela Merkel als Siegerin fest. Sie würden, wenn sie mitwählen dürften, die Kanzlerin haushoch gewinnen lassen. Nach einer Studie des Huawei-Konzerns kennt jeder fünfte Chinese die deutsche Regierungschefin, die China seit 2006 zehnmal besucht hat. „Tante Mo“ wird sie in China genannt, nach der chinesischen Umschrift ihres Nachnamens, der „Mo-Ke-Er“ ausgesprochen wird. Aber man erwartet auch viel von der Tante: „Als europäische Führerin muss sie die Probleme der politischen und sozialen Unordnung in der EU und des Systemversagens in den Griff kriegen“, schreibt der Europa-Experte He Zhigao im Parteiblatt „Global Times“. „Wenn sie solche Herausforderungen und besonders den beständigen wirtschaftlichen Niedergang nicht adressieren kann, wird der Populismus zum rasenden Gegenangriff ansetzen.“ Das gehe nur gemeinsam mit Macron. Johnny Erling


Das wichtigste zur Wahl:

Live im Text: Alle Reaktionen zur und das Geschehen rund um die Bundestagswahl 2017 bei uns im Liveticker.


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