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Deutsche Dschihadistin Von Hamburg zum IS und wieder zurück

Omaima A. ging nach Syrien, schloss sich dem IS an und heiratete den Terroristen Denis Cuspert. Nun ist sie zurück in Deutschland - und lebt in Hamburg. Eine libanesische Reporterin hat den Fall aufgedeckt.
Omaima A. (l.), Denis Cuspert: Engste Kontakte zur Führungsebene des IS

Omaima A. (l.), Denis Cuspert: Engste Kontakte zur Führungsebene des IS

Foto: alaan.tv

Jenan Moussa ist einiges gewohnt: Seit Jahren recherchiert die im Libanon geborene Reporterin des arabischen Fernsehsenders Al Aan TV im Milieu der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS), unzählige Male ist sie dafür selbst in den vergangenen Jahren nach Syrien und in den Irak gereist.

Immer wieder ist sie dabei den Lebensläufen von sogenannten foreign fighters nachgegangen, die aus dem Westen nach Syrien und in den Irak zogen, um sich dem IS anzuschließen. Bei einem ihrer letzten Trips bekam sie von einem ihrer Informanten fast nebenbei das Telefon von Omaima A., einer jungen Frau aus Hamburg. Vermutlich war es beim Vormarsch der Kurden erbeutet worden oder die Deutsche hatte es sicherheitshalber zurückgelassen.

Das Handy erwies sich als Fundgrube. Es enthielt mehr als 36 Gigabyte an Dateien, das meiste davon Fotos. Anhand der Bilder lassen sich die vergangenen Jahre im Leben der Dschihadistin nacherzählen.

Der Weg in den Dschihad

A. wird im Juli 1984 in Hamburg geboren und beginnt offenbar schon 2011, sich zu radikalisieren: Sie fängt an, sich mit einem Nikab zu verschleiern, der nur die Augen freilässt, trägt Handschuhe, posiert mit islamistischen Flaggen.

Im Mai 2012 heiratet sie den Frankfurter Islamisten Nadir Hadra. Es ist die zweite Ehe für A. Aus einer früheren Beziehung hat sie eine Tochter, die 2007 geboren wurde. Hadra ist bekennender Salafist und IS-Propagandist, der sich unter anderem an den Koranverteilungen beteiligt, die vom islamistischen Laienprediger Ibrahim Abou-Nagie organisiert werden.

Irgendwann nach der Hochzeit verlässt Hadra Deutschland und lässt seine Ehefrau mit zwei Kindern zurück. Ein drittes Kind wird nach seiner Abreise geboren. Im Januar 2015 reist A. mitsamt ihren Kindern Hadra hinterher. Sie fliegen in die Türkei. Dort nimmt Hadra Frau und Kinder in Empfang, wenig später reist die Familie weiter über die Grenze ins IS-Gebiet nach Syrien.

Den deutschen Behörden bleibt das nicht verborgen. Auf dem Handy der Frau findet sich das Foto eines Schreibens vom Jobcenter vom März 2015. Darin informiert das Amt A. darüber, dass ihr die Leistungen gestrichen werden. "Begründung: Ausreise ins Ausland (Syrien)".

In Syrien ist A. auf du und du mit den prominentesten IS-Terroristen aus dem deutschsprachigen Raum. Sie fotografiert ihren Sohn unter anderem mit Denis Cuspert, der zuvor unter dem Namen Deso Dogg eine mäßig erfolgreiche Karriere als Gangsta-Rapper hingelegt hatte. Außerdem mit dem österreichischen Dschihadisten Mohamed Mahmoud, der im Juni 2015 zwei Gefangene des IS vor laufender Kamera erschoss. Ihre Kleinkinder posieren mit Waffen und werden in die Uniform von IS-Kämpfern gesteckt. Auf einem Foto aus dem März 2015 trägt auch A. selbst eine Waffe. Die achtjährige Tochter trägt Nikab und besucht eine IS-Schule in Rakka.

Die gemeinsame Zeit mit Hadra ist nur von kurzer Dauer. Der Dschihadist wird sechs Wochen nach der Ankunft der Hamburgerin in der Schlacht um Kobane getötet. Der IS entschädigt A. mit 1310 US-Dollar in bar. Die Bürokratie der Terrormiliz erteilt der Frau die Erlaubnis, von der Provinz Rakka in die Provinz Homs umzuziehen.

"Ich konnte mir nicht vorstellen, dass jemand mit dieser Geschichte frei in Deutschland herumläuft"

Dort heiratet sie Deso Dogg, den engen Freund ihres verstorbenen Ehemannes. Fortan trägt sie zwei goldene Eheringe. Sie leben in einem Haus voller Kleinkinder, auch Söhne und Töchter aus Cusperts früheren Beziehungen wohnen mit ihnen unter einem Dach.

Während Cuspert an der Front kämpft, verbreitet seine Frau Online-Propaganda für den IS. Während der gesamten Zeit steht sie über das Handy in Kontakt mit Angehörigen in Deutschland.

Das letzte Foto auf dem Handy stammt von Ende 2015. Deshalb dachte Moussa zunächst, die Frau müsse tot sein. Doch dann entdeckte sie dieselbe Person auf einem aktiven LinkedIn-Profil, das in Deutschland erstellt worden war. Darin gibt sich A. als freischaffende Übersetzerin und Event-Managerin in Hamburg aus. Das Kopftuch hat sie inzwischen abgelegt, ihr Profilbild zeigt eine selbstbewusste Frau mit schwarzem Blazer und weißer Bluse. Wohl niemand käme auf die Idee, dass sie jahrelang einer Terrormiliz angehört haben könnte.

Moussa reiste selbst nach Hamburg und begab sich auf die Spur der Frau. Unter einer der Adressen, die auf dem Telefon gespeichert waren, machte sie A. ausfindig, traf sie aber nie persönlich an. Erst, als diese einmal das Telefon abnahm, hatte sie Gewissheit. "Ich konnte mir nicht vorstellen, dass jemand mit dieser Geschichte frei in Deutschland herumläuft", erzählt Moussa dem SPIEGEL.

Den deutschen Behörden ist der Fall im Grundsatz bekannt. A. reiste demnach im September 2016 über die Türkei wieder in die Bundesrepublik ein.

"Diese Frau kann sich mitten in Hamburg ein neues Leben aufbauen"

Frauen, die sich auf den Weg zu Terrormilizen wie dem IS in Syrien und im Irak machten, haben relativ hohe Chancen, unbehelligt zurückzukommen. Die deutschen Gerichte werten den bloßen Aufenthalt bei den Dschihadisten nicht als Straftat. Wenn die Frauen allerdings an Waffen ausgebildet wurden oder sich deutlich als Mitglieder einer der Terrororganisationen betätigt haben, droht ihnen eine Haftstrafe.

Im Fall A. lag bis zu Moussas Recherchen noch nicht genug Material für einen Haftbefehl wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor. Das könnte sich nun ändern: Erstmals haben die Fahnder durch die Fotos mit Deso Dogg Beweise, dass die Frau mit der Kommando-Ebene des IS engsten Kontakt hatte und nicht nur den Haushalt von Kämpfern geführt hat. Allen voran ein Bild, das sie zusammen mit bewaffneten Kämpfern zeigt, wird bei einem möglichen Gerichtsprozess sicherlich Bedeutung haben.

Für die 35-jährige Reporterin, die jedes Jahr Monate im früheren Machtgebiet des IS recherchiert, fühlt sich Erlebtes falsch an. Sie ist wütend. "Im Irak und in Syrien hat der IS Zehntausende auf dem Gewissen und diese Frau kann sich mitten in Hamburg ein neues Leben aufbauen", sagt sie: "Das wirkt so, als ob die Opfer außerhalb Deutschland nichts wert sind."

Die Hamburger Polizei teilte am Montag per Twitter lediglich mit, der Sachverhalt sei ihr bekannt.

Im Video: Von Hamburg nach Rakka - Deutsche IS-Frauen

SPIEGEL TV
mgb/fis/syd