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Ren Hang: Sexualität als Protest

Foto: Courtesy of Ren Hang/ Blindspot Gallery

Ren-Hang-Ausstellung in Berlin Viel mehr als Porno

Die Körperlandschaften des Fotografen Ren Hang könnten entblößter nicht sein. Sie waren sein Mittel zum Protest. Mehrmals wurde er in China verhaftet - der Vorwurf der Pornografie greift jedoch zu kurz.

Auch wenn es sich um eine Ausstellung von Ren Hang handelt, sollte man Besucher nicht gleich zu Beginn mit Geschlechtsteilen erschlagen. Natürlich müssen die vielen Penisse und Vaginen des chinesischen Fotografen auch gezeigt werden. Doch Hang ist so viel mehr als Porno. In Berlin weiß man das.

Sein Werk ist eine Ode an die Nacktheit und die Freiheit, die entblößte Körper bedeuten können. Der Künstler fotografierte die chinesische Jugend so, als gäbe es keine Zensur in seinem Land. Nackte Leiber verknoten sich in der Natur zu Körperlandschaften und zeigen dabei ihr Geschlecht in grellem Blitzlicht. Menschliche Körperteile werden um Pflanzen arrangiert, von Tieren und Blüten verdeckt oder zu Ornamenten gruppiert. Ohne Scham zeigen Menschen ihre Körper, sie spreizen die Beine, spucken oder pinkeln, und blicken dabei trotzig in die Kamera.

Was erstmal lustig oder extrem klingt, hat den Ausnahmekünstler schnell zum Star gemacht, ihm aber auch viel Ärger eingebracht. Mehrmals wurde er in China verhaftet und seine Festplatten beschlagnahmt. Nacktfotografie dieser Art ist in China Provokation. Hang forderte künstlerische Freiheit; mit aggressiven Inszenierungen zeigte er, dass er nicht einverstanden war mit dem autoritären Regime.

Polöcher mit Erdbeeren

Dass Hangs explizite Nacktheit nicht pornografisch ist, das zu zeigen bemüht sich jetzt die Schau "Love. Ren Hang" im Ausstellungshaus C/O Berlin. Als erste Bilder hängen dort nächtliche Aufnahmen: Eine Schlange kringelt sich um einen Hals und könnte dem Mädchen jederzeit die Luft nehmen. Schutzlos liegt eine Nackte in einem Ruderboot, das im schwarzen Wasser treibt. Es sind Anspielungen auf den großen japanischen Fotokünstler Nobuyoshi Araki. Und sie erinnern an die Dunkelheit, die Ren Hang so oft umhüllt hat.

"Man sollte Ren Hang nicht auf Sexualität komprimieren. Geschlechtsorgane spielen in seinem Werk eine große Rolle, aber sie sind eben nicht alles", sagt Kurator Felix Hoffmann. Seine Ausstellung zeigt deshalb die vielen Arbeiten mit Tieren, die verspielten Körperlandschaften, weist auf Zitate der Kunstgeschichte hin. Mal kopiert Hang Arakis Serie "A Sentimental Journey", mal zitiert er Darstellungen der griechischen Königstochter Leda mit Schwan, dann wieder Shakespeares sterbende Ophelia im Blumenmeer.

Vor allem seine Freunde und später auch Fans ließ er dafür als tableau nude vor seiner analogen Linse posieren, denn Fremde schüchterten ihn ein. Ein vertrauensvolles Verhältnis war vermutlich sinnvoll, denn Hang bat seine Modelle um wirklich akrobatische Verrenkungen. Hang verdeckte Polöcher mit Erdbeeren und drapierte Rosen um erigierte Penisse, er ließ Pflanzen aus Körperöffnungen sprießen und Nackte auf Hochhausdächern balancieren.

"Ich habe nie über Konsequenzen nachgedacht"

Welche Gefahr Hang und seinen Freunden dabei drohte, zeigt in der Ausstellung ein Dokumentarfilm. "Ich habe nie über Konsequenzen nachgedacht. Wir tun eben, was wir tun", sagt Hang darin. Er habe stets befürchten müssen, von Passanten angezeigt zu werden. Kaum jemand habe seine Bilder drucken wollen. Es gebe in China ein strafbares Vergehen, das mit "zügellosem Verhalten in Gruppen" übersetzt werden kann. "Doch was bedeutet genau zügellos?", fragt Hang. "Sex in der Öffentlichkeit? Habe ich nie gemacht."

"Ich will nicht, dass andere denken, die Menschen in China seien Roboter ohne Schwänze und Muschis", sagte Hang kämpferisch in einem seiner wenigen Interviews. Doch eigentlich war er als scheuer und der Öffentlichkeit fernbleibender Künstler bekannt, dessen Gedichte und sein persönlicher Blog auch von schweren Depressionen erzählten. Kurz vor seinem 30. Geburtstag nahm sich Hang mit einem Sprung vom 28. Stock eines Gebäudes in Peking das Leben.

Sein Werk wird nun verwaltet von Hangs Mutter, die in einer mittelgroßen Stadt in China lebt und nur über Dritte kontaktiert werden kann. "Es ist wahnsinnig kompliziert, Freigaben für Hangs Werk zu bekommen", sagt Ausstellungsmacher Hoffmann. Weder Hangs Familie noch chinesische Behörden seien an der Verbreitung interessiert.

Wie sehr Hang die Zurückweisung und Feindseligkeit in seiner Heimat belastet haben müssen, davon berichten seine Gedichte mehr als seine Bilder. Die Texte waren einige Zeit auf seinem heute abgeschalteten Blog zu lesen, kein Verlag hat sie je veröffentlicht.

Sie bilden einen düsteren Gegenpart zu den vielen roten Lippen und verspielten Gruppierungen der Bilder. "I buy a knife / We can both use it / If you don't love me anymore / I'll kill you / If I don't love you anymore / You can kill me" schrieb Hang. Einige wenige Gedichte können in "Love" nun gelesen werden. Man sollte die Chance nutzen.


Ausstellung: "Love, Ren Hang", C/O Berlin , bis 29. Februar 2020

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