194 Missbrauchsopfer zwischen 1981 und 2001 im Bistum Trier
Wenn die Pfarrei zum Tatort wird: Historiker haben den sexuellen Missbrauch im Bistum Trier seit 1946 untersucht. Der damalige Bischof habe „völlig unangemessen“ auf Anzeigen reagiert. Mindestens 194 Kinder und Jugendliche waren von sexuellen Übergriffen betroffen.
Der frühere Bischof Hermann Josef Spital hat in den 80er- und 90er-Jahren nach Ansicht von Historikern unangemessen und mit milden Mitteln auf sexuellen Missbrauch im Bistum Trier reagiert. Spital, der von 1981 bis 2001 in Trier im Amt war, sei Anzeigen von sexuellem Missbrauch zwar nachgegangen, seine Lösungen seien aber „völlig unangemessen“ und getragen von pastoralem Vertrauen gewesen, heißt es in einem Bericht der Universität Trier.
Währenddessen seiner Zeit als Bischof waren demnach mindestens 194 Menschen von sexuellen Übergriffen durch Kleriker und Amtspersonen des Bistums betroffen. Die meisten Kinder und Jugendlichen waren männlich, rund 22 Prozent waren Mädchen oder junge Frauen. Die Historikerin und der Historiker identifizierten zudem 49 Beschuldigte und Täter in diesem Zeitraum. 20 dieser Beschuldigten seien den Verantwortlichen innerhalb des Bistums bekannt gewesen, die anderen 29 seien erst nach 2010 bekannt geworden.
Der Bericht basiert auf der Auswertung von mehr als 1000 Akten und 20 Gesprächen mit Zeitzeugen. Es handelt sich um den zweiten Zwischenbericht einer historischen Studie, die sexuellen Missbrauch durch Kleriker und Laien im Bistum Trier von 1946 bis 2021 wissenschaftlich aufarbeitet. Insgesamt dokumentierten die Trierer Historiker für den Zeitraum von 1946 bis 2021 bislang Taten mit 711 Opfern und 234 Beschuldigten.
Ende 2022 ging es in einem ersten Bericht der Historiker um die Amtszeit des ehemaligen Bischofs Bernhard Stein (1967-1980). Dieser war demnach „Teil des Systems“ gewesen, das Missbrauchstäter gedeckt und geschützt hatte. Zum Bistum Trier gehören knapp 1,2 Millionen Katholiken in Rheinland-Pfalz und im Saarland.
Im Vergleich zur Amtszeit seines Vorgängers sei die Zahl der Fälle in der zweiten Amtszeit des Bischofs Spital gesunken, hieß es. In der Amtszeit von Spital habe es eine kleinere Gruppe von Mehrfach- bzw. Intensivtätern gegeben, die „besonders viele Betroffene missbraucht haben und die dies über längere Zeit ihres Berufslebens taten und häufig auch die betroffenen Minderjährigen über Jahre missbrauchten“, heißt es im Bericht. „Entsprechend große moralische Schuld lastet auf ihnen.“ So habe es in dieser Zeit 14 Bistums- und Ordensgeistliche gegeben, die für den Missbrauch von mindestens 148 Menschen verantwortlich seien.
Spital sei nicht unbedingt besser informiert, allerdings persönlich stärker involviert gewesen als sein Vorgänger Stein. Er habe von mindestens 13 der 20 damals bekannten Missbrauchsfälle gewusst.
Beschuldigte wurden lediglich versetzt
Konsequenzen gab es zwar intern, nach außen aber weniger. Am häufigsten seien die Beschuldigten versetzt oder an andere Bistümer vermittelt worden. „Dieses Mittel war erfolgreich als Schutz der Kirchenreputation, aber in den allermeisten Fällen wirkungslos als Schutz weiterer Betroffener“, heißt es im Bericht. Weihbischof Leo Schwarz war demnach mindestens bei neun Fällen involviert. „Vor allem persönliche Verbindungen zu beschuldigten Priestern scheinen seine Urteilsfähigkeit getrübt zu haben.“ Er habe das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs und dessen Folgen unterschätzt.
Spital habe sexuellen Missbrauch nicht aktiv vertuscht, aber zurückhaltend agiert. Er sei geneigt gewesen, Konflikten und Strafverfahren aus dem Weg zu gehen und habe auf die Expertise von Psychologen vertraut. „Während für die Aufklärung intern Sorge getragen wurde, so wurde die moralische Pflicht zu Anzeige und Information staatlicher Stellen vollständig vernachlässigt“, schreiben die Autoren. Und: „Die Zeit der Verschwiegenheit und der Vertuschung war noch längst nicht vorbei.“
Das Forschungsprojekt an der Uni Trier war von der unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs im Bistum Trier initiiert worden. Für die historische Studie, die noch bis Ende 2025 läuft, sollen noch die Amtszeiten des früheren Trierer Bischofs Reinhard Marx und des derzeitigen Bischofs Stephan Ackermann untersucht werden. Die Berichte sollen vor allem in den Blick nehmen, wie Verantwortliche des Bistums mit bekannt gewordenen Fällen von Missbrauch umgegangen.