Haiti Anwohner zerhacken und verbrennen offenbar mutmaßliche Bandenmitglieder

Brennende Barrikaden in Port-au-Prince
Foto: Odelyn Joseph / AP / dpa
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Im Karibikstaat Haiti sind bei Kämpfen zwischen Bandenmitgliedern, Polizisten und Bewohnern der Hauptstadt Port-au-Prince nach Polizeiangaben mehr als 20 Kriminelle ums Leben gekommen. Die Bandenmitglieder hätten nachts versucht, in den wohlhabenden Stadtteil Pétion-Ville einzudringen und seien von Beamten gestoppt worden, sagte ein Polizeisprecher dem Radiosender Magik 9.
Der »Miami Herald« im US-Bundesstaat Florida berichtete unter Berufung auf die Polizei sogar von mindestens 28 getöteten Bandenmitgliedern. Polizisten hätten rund zehn von ihnen getötet, außerdem hätten Anwohner auf eigene Faust gehandelt. Leichen seien mit Macheten zerhackt und angezündet worden, berichtete die Zeitung. Fotos zeigten, wie Anwohner Leichen mutmaßlicher Bandenmitglieder auf der Straße verbrannten.
Uno-Generalsekretär António Guterres sei besorgt angesichts der Eskalation der Gewalt in Haiti, erklärte sein Sprecher Stéphane Dujarric. Es sei dringend notwendig, die von Kenia geführte multinationale Schutztruppe zur Wiederherstellung der Sicherheit finanziell und logistisch zu unterstützen. Die Mission mit geplanten 3000 Einsatzkräften war im Oktober vergangenen Jahres vom Uno-Sicherheitsrat genehmigt worden. Erst im Juni kamen die ersten kenianischen Polizisten in Haiti an – bisher sind es nur wenige Hundert Beamte.
Haiti leidet seit Jahren unter der Gewalt schwer bewaffneter Banden, die die Hauptstadt größtenteils unter ihrer Kontrolle haben. Vor dem jüngsten Gewaltausbruch in dem Krisenstaat mit elf Millionen Einwohnern hatten die Banden angekündigt, weitere Stadtteile der Hauptstadt erobern zu wollen.
Wegen der jüngsten Ereignisse sind nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in den vergangenen Tagen rund 20.000 Menschen aus ihren Häusern in Port-au-Prince geflohen. Die Hauptstadt sei lahmgelegt.
Ärzte ohne Grenzen beenden Arbeit aus Sicherheitsgründen
Inmitten der dramatischen Lage muss die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) nach eigenen Angaben ihre Arbeit in Port-au-Prince und Umgebung einstellen. Die Organisation sei zwar an extreme Unsicherheit gewöhnt. Aber wenn die Polizei selbst zur Bedrohung werde, habe man keine andere Wahl, als die Arbeit auszusetzen, sagte MSF-Missionsleiter Christophe Garnier am Dienstag.
Seit einem tödlichen Angriff auf einen ihrer Krankenwagen in der vergangenen Woche habe die Polizei wiederholt Fahrzeuge der Organisation angehalten und Mitarbeiter direkt bedroht, einige von ihnen mit dem Tode und mit Vergewaltigung. Die Unterbrechung gelte ab Mittwoch »bis auf Weiteres«. MSF werde ihre Arbeit erst wieder aufnehmen, wenn es Sicherheitsgarantien gebe. Die Polizei lehnte eine Stellungnahme ab.
Die Banden haben das Machtvakuum nach der Ermordung von Präsident Jovenel Moïse im Jahr 2021 gefüllt und kontrollieren weite Teile der Hauptstadt. Immer wieder kommt es zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Gruppen und der Polizei sowie zu Selbstjustiz durch Bürgerwehren. Die Vereinten Nationen sprechen von einer noch nie dagewesenen Nahrungsmittelknappheit – rund fünf Millionen Menschen leiden unter akutem Hunger.
Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft
Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.
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